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Putins Internationale der Lüge
Der Autor ist Moskauer Journalist, Medienexperte und aktiver Publizist mit viel gelesenem Blog. 1993-1995 war Yakovenko Duma-Abgeordneter für die Partei Jabloko und bis 2009 Vorsitzender des Verbandes der Journalisten Russlands. Er wurde wegen seiner offenen Kritik gegen Putins verbrecherisches Regime aus der Leitung des Verbandes verdrängt. Yakovenko ist heute einer der mutigsten und scharfsinnigsten Journalisten im russischsprachigen Internet. Die großen Medien des Landes haben selbstverständlich keinen Platz für seine Publizistik.
Ich danke Igor Yakovenko für die Erlaubnis, seinen Artikel hier zu veröffentlichen.
M.R.
„Russland ist dabei, den Informationskrieg zu gewinnen“. Diese Erkenntnis äußerten kürzlich in verschiedenen Varianten der Außenminister von Litauen Linas Linkevičius, der amerikanische Kongressabgeordnete und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Ed Royce sowie einige weiteren Vertreter des westlichen Establishments.
Für gewöhnlich enthalten solche Statements ein gewisses Maß an Koketterie und auch an Eigennutz.
Koketterie weil während eine Niederlage im Wirtschaftskrieg oder – Gott behüte – in einem bewaffneten Konflikt das Selbstwertgefühl vernichtet, der Informationskrieg dagegen als eine Propagandaschlacht aufgefasst wird, als eine Art Wettstreit der Lügner und Schwätzer. Verlierer in einer derartigen Auseinandersetzung zu sein, ist daher nicht nur keine Schande, sondern stellt etwas Ehrenwertes dar.
Die eigennützige Komponente solcher Klagen wird offensichtlich, wenn der sich Beklagende in einem bestimmten Verhältnis zum Betreiber des Informationskrieges steht. Wenn er zum Beispiel Medien, die für das Ausland berichten, vertritt oder für sie Lobby-Arbeit leistet. In diesem Fall ist seine Klage über die Niederlage im Informationskrieg gleich zu setzen mit der Bitte um höhere Geldzuwendungen.
Übrigens, weil gerade von Geld die Rede ist: der offizielle Jahreshaushalt von Russia Today betrug in den letzten Jahren etwa 450 Millionen USD. Der Gesamthaushalt aller auf Russisch sendenden amerikanischen Medien belief sich dagegen laut Guy Taylor von der Washington Times in 2015 auf 23,2 Millionen USD.
Ein fast 20-facher Unterschied.
Der Startvorteil der Putinschen Informationsarmeen beschränkt sich längst nicht nur auf diese zwanzigfache finanzielle Übermacht. Wie der Außenminister von Litauen weiter mitteilte, geben 60% der in Litauen zugänglichen TV-Kabelsender propagandistisch den Standpunkt Moskaus wieder.
Es wäre nicht schlecht, wenn westliche Politiker und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens versuchten, sich zumindest ansatzweise vorzustellen, was für ein Gegner mit Putins Regime dem Westen gegenübersteht. Seinerzeit hatte Lenin die Komintern zur Bekämpfung der westlichen Zivilisation gegründet. Nach dem Zweiten Weltkrieg erweiterte die UdSSR ihr Arsenal. Hinzu kamen: der Warschauer Pakt, die Institution der sogenannten Internationalen Beratungen kommunistischer und Arbeiterparteien und noch alle möglichen Organisationen zur Beeinflussung von Intellektuellen und Künstlern im Westen. Das beste Beispiel hierfür war die Internationale Journalistenunion mit ihrem Hauptsitz im kommunistischen Prag.
Dagegen ist die Internationale, die Putin schuf, einmalig. Sie unterscheidet sich von allen anderen Internationalen, von der Komintern bis zur Liberalen Internationale dadurch, dass ihr keine Ideologie zugrunde liegt, da weder Putin persönlich, noch Putins Regime irgendwelchen Ideologien verbunden sind.
Das Fundament, worauf Putins Internationale aufgebaut wurde, ist Geld. Und zwar viel Geld, trotz aller finanziellen Probleme von Putins Russland. Denn, unabhängig davon, dass der Staatshaushalt der USA um das 16-fache größer als der von Russland ist, kann Obama persönlich nur über einen ganz geringen Teil des amerikanischen Haushalts verfügen. Dagegen ist der Teil des Staatshaushalts von Russland, über den Putin persönlich bestimmen kann, durch nichts begrenzt. Und für den Informationskrieg ist Putin kein Geld zu schade.
Ich verfolge aufmerksam, was westliche Politiker und Experten über Putin schreiben und reden, und muss immer wieder staunen, wie abwegig die Rezeption dieses Menschen im Westen ist. Putin ist ein
absoluter moralischer Idiot
und auch seine Vertrauten sind nach diesem Merkmal ausgesucht. Ihm fehlt komplett die Fähigkeit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Mehr noch, er ist davon überzeugt, dass das auch für alle anderen Menschen auf dem Planeten zutrifft und, dass sie nur so tun, als würden sie beides auseinander halten können. Deswegen begreift er auch gar nicht, was daran schlimm sei, wenn er zuerst die Anwesenheit von russischen Soldaten in der Krim entschieden abstreitet, um sie später dann doch zuzugeben. Er versteht nicht, warum sein Gerede von „irgendwelchen Turkmenen“ in Syrien, von deren Existenz er „nicht mal was ahnen“ konnte, als er deren Territorium mit Fliegerbomben und Marschflugkörpern zermalmen ließ, nicht so gut ankommt. Ebenso wenig wie seine Worte darüber, dass man Boris Nemzow „nicht unbedingt hätte umbringen müssen“.
Irreführung und Betrug gehörten zu seiner Ausbildung als Absolvent der Hochschule des KGB. Deswegen lügt Putin immer und bei allem. Und daher ist auch die Putinsche Internationale komplett auf Lügen aufgebaut.
Im Unterschied zu allen anderen Internationalen stellt sich die von Putin als ein unauffälliger Eisberg mit riesigem Unterwasser-Teil dar. Über dem Wasser sieht man nur die drei öffentlichen Bestandteile des Eisbergs: den propagandistischen (Russia Today, Ruptly, Sputnik Deutschland und all die anderen auf das Ausland ausgerichtete russischen staatlichen Medien), den intellektuell-fachlichen (als da wären der Waldai-Club, das Deutsch-Russische Forum oder der Petersburger Dialog) und den diplomatischen – das Außenministerium der Russischen Föderation. Unter der Oberfläche aber setzen sich die Strukturen wie Metastasen fort – sie reichen bis in den letzten Winkel der Staatsapparate, der politischen Gefüge und der Zivilgesellschaften praktisch aller Länder der Welt.
Die hauptsächliche Methode, der sich die Putinsche Internationale zur Einverleibung der westlichen Welt bedient, erinnert an die externe Verdauung bei Spinnen und wird mittlerweile unter dem eindeutigen Begriff
„Schröderisierung der Eliten“
geführt. Nur spritzt diese Spinne im Unterschied zur echten statt des Magensafts Geld ins Land, das man sich als Opfer ausgesucht hat. Geld für den groß angelegten Kauf von wichtigen Politikern, Fachleuten, öffentlichen Personen und Journalisten.
Die globale Reichweite dieses Phänomens wird gut durch den Werdegang einer verblüffenden Figur verdeutlicht – Kirsan Ilyumzhinov. Ein Hasardeur, dem es nur dank des korrupten russischen Justizsystems gelang, der Anklage wegen Auftragsmordes an der Journalistin Larisa Yudina zu entgehen. Ein Mann mit ziemlich verwirrtem Bewusstsein, der allen Ernstes und öffentlich erklärte, man habe ihn persönlich auf eine fliegende Untertasse eingeladen, wo ihm eine Unterredung mit Außerirdischen gewährt wurde. Diese schillernde Gestalt steht nun seit 20 Jahren als Präsident an der Spitze der Internationalen Schachföderation FIDE.
2010 war Weltmeister Anatolij Karpov Rivale von Ilyumzhinov bei der Wahl des Welt-Schachpräsidenten. Im letzten Jahr – ein anderer Weltmeister, Gari Kasparov. In einem offenen und ehrlichen Wettkampf wäre der Sieg von Ilyumzhinov gegen einen der Beiden vergleichbar mit dem Sieg eines Magersüchtigen gegen Marc Tyson auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Und selbst nachdem die USA Ilyumzhinov wegen seiner Vermittlungsaktivitäten im Ölhandel zwischen dem Islamischen Staat und der Regierung Assad auf die Sanktionsliste setzten, ließ die FIDE ihren Präsidenten nicht fallen. Die Spinne hatte ihr Opfer verdaut und nur die glänzende Hülle mit der Inschrift FIDE übriggelassen.
Obwohl Russia Today von allen sichtbaren Strukturen der Putinschen Internationale am spektakulärsten erscheint, allein schon wegen des gigantischen Budgets und der protzigen Großtuerei, ist der Fernsehsender eigentlich das schwächste Glied im System. Der Grund dafür liegt in primitivster Veruntreuung und Verschwendung von Geldern.
In September 2015 veröffentlichte das News-Portal Daily Beast eine Untersuchung, der man entnehmen konnte, dass RT beim Einschaltquoten-Ranking der Newssender in den USA für das 1. Quartal 2015 praktisch nichtexistent war. In Europa entfallen auf RT weniger als 0,1% der Zuschauer, mit Ausnahme von Großbritannien, wo RT ganze 0,2% erreicht. Der Hauptkonkurrent von RT – der englischsprachige Al-Jazeera – weist bei einem kleineren Budget viel höhere Einschaltquoten aus und hat einen stärkeren Einfluss als RT.
Eine viel effizientere Struktur ist der sogenannte Waldai-Club, der sich in den 11 Jahren seiner Existenz zu einer veritablen Gruppierung der Organisierten Kriminalität entwickelte, mit eigener Klientel und mit einem umfangreichen Korrespondentennetzwerk. Das heißt, die strikte Vertikalhierarchie wurde hier durch eine horizontale Netzstruktur ergänzt. Im letzten Jahr trat der Waldai-Club in die zweite Phase seiner Existenz: vom Format
„die Welt mit Liebe über Russland aufklären“
hin zur Gestaltung einer für das Moskauer Regime notwendigen Agenda, um die Deutung der politischen und ökonomischen Probleme der Welt aus der Sicht des Kreml nach draußen zu tragen.
Zur Oberschicht des Waldai-Clubs gehören ehemalige Staats- und Regierungschefs europäischer Länder. Das sind die Schwergewichte der Putinschen Internationale: Wolfgang Schüssel (österreichischer Ex-Bundeskanzler), Romano Prodi (italienischer Ex-Ministerpräsident) Dominique de Villepin (Ex-Ministerpräsident von Frankreich), Vaclav Klaus (tschechischer Ex-Staatspräsident), François Fillon (noch ein französischer Ex-Premier), Jan Carnogursky (ehemaliger Ministerpräsident der Slowakei) sowie einige weitere einflussreiche Lords und ehemalige Minister aus verschiedenen Ländern.
Die zweite Ebene besteht aus unauffälligeren Figuren – Politologen, Wissenschaftlern oder Journalisten. Während die Schwergewichte bei ihrem Rollenspiel versuchen, die Erdachse etwas mehr in Richtung Putinsches Regime zu neigen, rackern sich Leichtgewichte wie z. B. Nikolay Zlobin (Präsident des Center on Global Interests in Washington), Alexander Rahr (Politologe und Lobbyist), Robert Ware (Professor an der Illinois University), Stephen Cohen (Russland-Fachmann der Princeton University) oder Peter Lavelle (Amerikaner im Dienste von RT) ab, um den Kult um Putin auch in den Westen zu tragen oder zumindest dem russischen Publikum vorzugaukeln, dass der Westen diesem Kult bereits verfallen sei.
Das letzte Element der Konstruktion, die Putins Internationale stützt, sind diejenigen, die Lenin mit Fug und Recht
„nützliche Idioten“
nannte. Die braucht man nicht zu kaufen. Es reicht völlig aus, wenn Sie ihre Hand ergreifen, ihnen geheimnisvoll und tief in die Augen schauen, eine Weile zu schweigen und dann sonor R-O-S-S-I-J-A zu flüstern… Danach sollten Sie sich unbedingt nachdenklich an die Stirn fassen und dabei unbemerkt die Augen reiben, damit sie gerötet sind und Ihr Gegenüber davon überzeugt ist, dass Sie gerade aufgewühlt ein inneres Gespräch mit Dostojewski führen.
Die Nominierung zum „nützlichen Idioten des Jahres 2015“ entschied mit großem Abstand John Kerry für sich. Er schaffte es, alle Partien, die er gegen Sergej Lavrov führte, durch Entgegenkommen und Selbstaufgabe zu verlieren. Damit gestattete er Putin, sich in der Ukraine und in Syrien weiter als der große Weltmacker aufzuplustern.
Das Instrument der Putinschen Internationale in Kombination mit riesigen Kernwaffenarsenalen lässt den Machthaber im Kreml zur größten Gefahr für die menschliche Zivilisation werden.
Den westlichen Entscheidungsträgern kann nur geraten werden, sich mit der Struktur dieses Instruments zur Beeinflussung und Durchsetzung von Interessen zu befassen und zu lernen, wie man ihm widerstehen kann.
© Übersetzung aus dem Russischen: Milen Radev
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