06/14/13 15:59
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Neues aus dem Land der Rosen und der Muskelmänner

Peevski2© Milen Radev *

Bulgarien ist ein Land, das entweder für gar keine oder höchstens für bedrückende bis seltsame Nachrichten gut ist.

Heute kam eine besonders abwegige hinzu: ein junger Oligarch mit schillernder Vergangenheit, eine Figur, die in Bulgarien für viele als Sinnbild der Verquickung von käuflicher Politik, Halbwelt und Wirtschaftskreisen aus sozialistischer Stasi-Provenienz gilt, wurde völlig unerwartet vom Parlament in Sofia zum Chef des mächtigen Geheimdienstes DANS gewählt.

Der neue Super-Agentenboss Deljan Peevski ist gerade 33 Jahre alt. Mit 21 ernannte man ihn als jüngstes Mitglied einer Regierungsmannschaft zum parlamentarischen Sekretär im Verkehrsministerium unter dem Ex-König Simeon von Sachsen und Coburg-Gotha. Wir erinnern: 2001 war Simeon einfach mal Premier einer Republik geworden (ohne offiziell auf die Krone verzichtet zu haben – Bulgarien eben…) und suchte vielversprechende und gut vernetzte junge Leuten.

Die Mutter des Juniors war ihrerseits Chefin der staatlichen Lotto-Gesellschaft und gerade dabei, sich zur mächtigsten Medienmagnatin des Landes zu mausern. Im Laufe der Jahre haben es Mutter und Sohn geschafft, direkt oder über Strohmänner, den überwiegenden Teil des Zeitungsmarktes, die größten Fernsehsender und auch viele bulgarische Internet-Plattformen zu übernehmen. Laut Recherchen in der bulgarischen Presse beherrscht Peevski auch 80 % des Zeitungsvertriebsnetzes im Lande.

Das Monopol über die veröffentlichte Meinung im EU-Land Bulgarien hatte Peevski bis jetzt allemal. Nun kommt auch noch die Kontrolle über die Dienste…

Peevski wurde mit 22 Jahren und noch ohne akademischen Abschluss als Vorstandsmitglied des größten (damals staatlichen) Hafens Varna eingesetzt. Nach einem lauten, nie aufgeklärten, Skandal um seine Person wegen der Veruntreuung von Mitteln in Millionenhöhe bei der Privatisierung von Großobjekten, ernannte man den hochbegabten Sprössling kurzzeitig zum Ermittler bei der Wirtschaftspolizei (!). Danach wechselte er von der „Königs“-Partei in die Partei der bulgarischen Türken DPS und ließ sich 2009 zum Parlamentsabgeordneten wählen.

Er führt das klassische, öffentlich auffällige Leben eines osteuropäischen Neureichen: er fährt vor mit gepanzerten Geländewagen und Eskorte, nutzt Villen und Grundstücke im luxuriösesten Viertel von Sofia, die Sackgasse zu seiner Residenz lässt er rund um die Uhr von Jeeps mit Bodyguards bewachen…

Und dies, obwohl seine Steuererklärung ganz bescheidene Einkünfte und Vermögen aufweist und er nur Bezüge von öffentlichen Stellen erhalten haben will. Peevskis Parlamentariergehalt, so hat es die angesehene Sofioter Zeitung „Kapital“ errechnet, würde nicht mal für einen schwachen Schimmer seiner exklusiven Lebensweise reichen.

Für manche Beobachter in Bulgarien besteht kein Zweifel, woher die Mittel für den Erwerb von Peevskis Medien- und Wirtschaftsimperium stammen: sein mächtiger Kreditgeber ist die Korporative Handelsbank (KTB) von Cvetan Vassilev, einem der reichsten Bulgaren.

Vassilevs Aufstieg zur finanziellen Macht begann, wie die Zeitung „24 chasa“ schrieb, in den ersten Jahren nach der Wende, „als prall gefüllte Koffer mit Geldern (der ehemaligen KP) an Familien, die unter Parteikontrolle standen, verteilt wurden“. Heute gehört die KTB zu den wichtigsten Banken im Lande und verwaltet die Einlagen und Konten der meisten Behörden und staatlichen Stellen Bulgariens.

Dieser Cvetan Vassilev nun bezeichnet den jungen Deljan Peevski wechselweise mal als seinen „Ziehsohn“, mal als seinen Angestellten, der „alles macht, was ich ihm sage“ – so berichtete „24 chasa“.

Das Medienimperium von Peevski leistete während der letzten vier Jahren starke meinungsbildende Unterstützung für die jetzt im Mai abgewählte Regierung Bojko Borissov. Erst kurz vor der Wahl vollbrachten sowohl der Banker als auch der Medienzar eine Kehrtwende und erklärten der Regierung den Krieg.

Das Schlachtfeld bildeten die Programme der Fernsehsender, die Zeitungen und auch die Internetsites des Medienzaren. Auf die sicherlich nicht besonders geschickt oder tugendhaft geführte Regierung wurden kübelweise Beschuldigungen und kompromittierende „Enthüllungen“ ausgeschüttet. Es wurde skandalisiert, was das Zeug hält.

Die Einheitsfront gegen die Regierung bildeten die früheren Kommunisten der BSP, Peevskis „Türken“-Partei DPS (zu ihrer Führung gehören auch einige Bulgaren, um Vorwürfe, es handele sich um eine rein ethnische Partei, zu entkräften) und die faschistoiden fremdenfeindlichen Extremnationalisten von „Ataka“ („Angriff“, ihr Namensgeber war die alte deutsche Nazi-Zeitung).

Nur Stunden vor dem Wahlbeginn kam nun aus Kreisen der BSP eine Anzeige bei der Generalstaatsanwaltschaft über hunderttausende Wahlzettel, die in einer der Regierenden GERB-Partei nahestehenden Druckerei angeblich darauf warteten, zur Wahlmanipulation in Umlauf gebracht zu werden.

Die Staatsanwaltschaft reagierte – ganz anders als sonst üblich – blitzartig, die Druckerei wurde von Spezialeinheiten gestürmt, die Wahlzettel sichergestellt und die Medien eingeschaltet. Bis heute ist das Verfahren offen, es gibt keine Hinweise dafür, dass es sich bei den Wahlunterlagen nicht um normalen Druckereiausschuss handelte, wie die Firma erklärte.

Der Skandal hatte jedoch seine Wirkung nicht verfehlt: die über lange Zeit in den Umfragen führende GERB, nunmehr als „Wahlfälscher“-Partei verschrien, verlor ihren komfortablen Vorsprung. Sie wurde zwar stärkste Partei, aber die Regierung übernahmen die drei „Einheits-Front“-Parteien. Die Sozialisten und die DPS stellen die Minister und lassen sich von „Ataka“ bei Abstimmungen unterstützen.

Zur Zuspitzung und vorgezogenen Neuwahlen war es gekommen, als die Regierung Borissov verbindlich beschloss, im Sinne einer gemeinsamen europäischen Energiepolitik, aus wirtschaftlichen Gründen und wegen des riskanten Standortes, das Donau-AKW-Projekt Belene zu stoppen.

Dieser Beschluss gegen das russische Prestigeprojekt in einem EU-Land führte zu wütenden Reaktionen in Moskau und zu einem Druck auf Bulgarien, der in den letzten Monaten immer deutlicher wurde.

Die BSP war schon immer dafür bekannt, dass sie die russische Lobby in Bulgarien bestens repräsentiert. Die Partei organisierte ein Referendum gegen die Aufgabe der AKW-Pläne.

„Ataka“, die, wie viele Bulgaren überzeugt sind, vor Jahren als russisches Projekt zur politischen Einflussnahme aus dem nichts entstand, solidarisierte sich mit den Sozialisten. Sie betrieb nun eine Kampagne gegen „Europa“, gegen den „Diktat des Westens, der Weltbank und des IWF“, gegen die „Globalisierung“ und den „Ausverkauf des Landes“. Peevskis Medien sekundierten und schafften Stimmung.

Nur Tage nach der Bildung der neuen Regierung Orescharski im Mai, erschien in Sofia der russische stellvertretende Energieminister, um über das AKW „Belene“ zu reden. Der neue bulgarische Premier erklärte daraufhin, er werde wohlwollend die Verwirklichungschancen des Projekts prüfen. Eine Richtungswende im Sinne Moskaus bei den anderen Energieprojekten in und um Bulgarien wie Nabucco und South-Stream wird von Beobachtern erwartet.

Ein großer Teil der Bulgaren ist durch den seltsamen Wahlausgang und der prinzipienlosen Regierungsallianz von Sozialisten, Türken und fremdenfeindlichen Extremisten desillusioniert und zutiefst betroffen.

Die Überzeugung, dass die politische Landschaft im Lande in großem Stil von russischem Kapital und von russischen politischen Interessen umgeformt wurde, ergreift weite Schichten. Dass nicht mal die EU-Mitgliedschaft diese Entwicklung verhindern konnte, führt zu großer Enttäuschung und zu neuen Ausreiseplänen besonders bei jungen Leuten.

Nun kommt völlig unerwartet die Meldung vom neuen Posten des Medien-Oligarchen Peevski.

DANS ist nicht irgendein Geheimdienst. Das ist die oberste Behörde, die für die nationale Sicherheit, für die Bekämpfung von Terrorismus im In- und Ausland zuständig ist. Unlängst wurde auch die Agentur gegen Organisierte Kriminalität von DANS übernommen und der ganze Dienst aus der bisherigen Aufsicht des Staatspräsidenten herausgelöst.

Unter den Verhältnissen eines Balkanlandes mit noch kurzer EU-Geschichte hat DANS eine unheimliche, die Politik, die Wirtschaft und das ganze gesellschaftliche Leben durchdringende Macht. Nicht nur personell sehen viele in diesem Dienst einen indirekten Nachfolger der alten sozialistischen Staatssicherheit.

Die Nachricht von der ohne Vorankündigung im Parlament erfolgten Wahl von Deljan Peevski zum Chef von DANS sorgte sofort für größte Aufregung im Lande. Die bulgarischen sozialen Netze quellen über von empörten Reaktionen. Zigtausende, besonders junger Leute, schließen sich Gruppen an, die zu Protesten aufrufen und spontane Aktionen gegen diese absurde Personalie vorbereiten.

Die Frage, ob diese Personalie und die ganze unappetitliche, jedoch gar nicht so ungewöhnliche, Geschichte aus einem Land des misslungenen Übergangs vom Sozialismus zur Demokratie den deutschsprachigen Leser überhaupt angeht, ist berechtigt. Die negative Antwort ist auf den ersten Blick plausibel.

Auf den zweiten und dritten könnte es etwas anders aussehen.

Hier wird mit Unverfrorenheit eine skandalöse Kandidatur durchgeboxt, die vermutlich nicht mal Chancen hat, die strengen Kriterien für den Zugang zu sicherheitsrelevanten Informationen der Gemeinschaft und der NATO zu erfüllen. Es ist eine Kandidatur, die kein engagierter Teilnehmer am bulgarischen öffentlichen Leben und kein aktiver Beobachter von außen nachvollziehen und ohne größte Sorge zur Kenntnis nehmen kann.

Die politischen Kräfte die sie tragen, entscheiden nicht mehr allein für sich – das hat die aktuelle Situation in Bulgarien gezeigt. Es sind mächtige Faktoren die diese politischen Kräfte aus dem Hintergrund unterstützen und steuern. Es sind Faktoren wirtschaftlicher oder krimineller Art oder eine Verquickung von beiden. Es könnten gar Faktoren aus dem nicht sehr fernen Ausland sein, die schon immer Schwierigkeiten damit hatten, den Verlust des „Bruderlands“ Bulgarien an den Westen zu verwinden…

Und diese Faktoren zeigen mit Entscheidungen wie der heutigen, dass sie keine Rücksicht mehr nehmen wollen auf die Einbindung eines Landes wie Bulgarien in die euro-atlantischen Strukturen, dass ihnen die Meinung und auch die Antwort der EU auf solche Regelbrüche herzlich egal ist.

Wir haben es mit einem Affront zu tun und das Opfer dieses Affronts ist beileibe nicht nur Bulgarien. Der Einsatz ist größer – daher auch der Ausmaß der Frechheit und das Gefühl das hier jemand vor Selbstbewusstsein und Unangreifbarkeit geradezu strotzt. Daher diese absurde Personalie…

2007 hatte Wladimir Putin einen denkwürdigen aggressiven, antiwestlichen Auftritt bei der Münchener Sicherheitskonferenz. Manche habe den als „Paukenschlag“, andere als „testosterongeladenes Macho-Gehabe“ milde verurteilt. Man hat es ihm durchgehen lassen. Es war ein Versuch, wie weit man gehen kann, was die Gegenseite bereit ist zu schlucken. Die Bereitschaft und die Trägheit scheinen kaum Grenzen zu haben.

In dieser Reihe von „Testballons“, von prüfenden Schritten, die ausloten, wie weit man den nächsten setzen kann, ohne zurechtgewiesen zu werden, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen, reiht sich auch der aktuelle „bulgarische Fall“.

1981, beim Antrittsbesuch von Helmut Schmidt beim neu gewählten US-Präsidenten ist man auch auf die Berliner Mauer zu sprechen gekommen. Ronald Reagan kritisierte u.a. John F. Kennedy, weil er sich den  Bau einfach so gefallen ließ.

Dann sagte er einen denkwürdigen Satz: „Eine Demütigung, die ohne angemessene Antwort bleibt, wird Anlass für immer neue Demütigungen“.

Der Satz ist lange in den vertraulichen Akten liegen geblieben.

Heute kommt mir dieser Satz nicht aus dem Sinn.

Wer erinnert sich aber noch an Ronald Reagan…


* Der Autor ist bulgarischstämmiger Deutscher. Er lebt seit 35 Jahren als Übersetzer und Publizist in Berlin. Er verfolgt intensiv auch die Geschehnisse in seiner alten Heimat.

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